Selbstdarstellung lange vor Facebook & Co.
Porträt von Salome Graviseth, geb. von Erlach, 1623
TEXT: NADINE FISCHER UND STEPHANIE GROPP, BILD: BURGERBIBLIOTHEK
Wappen und Porträts dienten seit dem 16. Jahrhundert gleichermassen als zentrale Medien der repräsentativen Selbstdarstellung einzelner Personen und ganzer Familien. Mittels Ahnengalerien und Stammbäumen demonstrierten Berner Familien ihre Herkunft und legitimierten so ihren Status im sozialen Gefüge der Stadt Bern. Für das Prestige einer Person waren neben persönlichen Verdiensten vor allem das Ansehen ihrer Familie und die Taten ihrer Vorfahren von entscheidender Bedeutung.
Wappendokumentation
Wappen an Hausfassaden, in Wappenscheiben, auf schriftlichen Unterlagen und als Siegel zeugen von der langen Tradition dieses Merkmals der Familienerkennung und des Besitzanspruchs. Während Ende des 15. Jahrhunderts die meisten Berner Familien ein Wappen trugen und aktiv verwendeten, ist die Anzahl der Familien, welche heute überhaupt eines besitzen, zurückgegangen. Die Zuordnung der Wappen zu den entsprechenden Familien ist teils schwierig, auch weil neu eingeburgerte Familien Wappen bereits ausgestorbener Familien verwendeten. Überdies haben spätere Generationen gelegentlich ihre Wappen aufgrund von persönlichen oder zeitgenössischen Vorlieben geändert. Die Wappenkunde oder Heraldik folgt ihren eigenen Gesetzmässigkeiten. Sowohl Farben (Tinktur) als auch Beschreibung (Blasonierung) der Wappen sind definiert. «In Rot ein silberner Pfahl, belegt mit einem schwarzen Sparren», lautet die Blasonierung des hier abgebildeten Wappens der von Erlach. Die Ausgestaltung der Dicke des Pfahls oder des Rottons liegen aber in der freien Gestaltung des Malers. Die Regeln der Heraldik wurden besonders ab dem 18. Jahrhundert nicht immer eingehalten. Und da neu eingeburgerte Personen oft einen kreativen Umgang mit Farben und Formen pflegten, existieren Darstellungen, welche der genauen Prüfung eines Heraldikers nicht standhalten würden. Erst die vom Kleinen Burgerrat 1979 erlassenen «Weisungen für die Eintragung der Familienwappen in das Stammregister der Burgergemeinde» schreiben vor, dass neu geschaffene Wappen den Vorgaben der Heraldik entsprechen müssen und die Übernahme von Wappen ausgestorbener Familien nicht möglich ist. Zudem dürfen nur noch Personen mit direkter Linie zum Stammhalter deren burgerliche Wappen verwenden.
Sämtliche burgerlichen Familienwappen sind nun in einer Dokumentation zusammengestellt. Als Grundlage dienen die von der Burgergemeinde publizierten Wappenbücher von 1932 und 2003. In Zusammenarbeit mit der Burgerkanzlei werden die Einträge laufend ergänzt. Da es aber keine Verpflichtung gibt, ein Wappen zu führen, hat die Burgergemeinde mehr Familien als Wappen. Trotzdem ist die Dokumentation auf ansehnliche 2470 Einträge angewachsen, welche die rund letzten 500 Jahre abdecken.
Berner Persönlichkeiten im Bild
Wappen und Porträts gehen im 17. und 18. Jahrhundert zuweilen ein enges Bündnis ein. In einer Vielzahl von Bildnissen erscheinen Wappen als Zeichen der Zugehörigkeit einer Person zu einer namhaften Berner Familie. So begegnet uns in einem Tafelbild von 1623 Salome Graviseth, geb. von Erlach (1604 – 1636), als noch unverheiratete, gut situierte Frau, die den Blick des Betrachters selbstbewusst erwidert, gehört sie doch, wie das Wappen neben ihrem Gesicht deutlich zu erkennen gibt, zur vornehmen und einflussreichen Familie von Erlach. Waren es zunächst vor allem Patrizier, die mit Familienporträts ihren privilegierten Status im Staate Bern demonstrierten, etablierte sich das eigene Bild seit dem 18. und 19. Jahrhundert als probates Mittel der Selbstdarstellung auch im aufstrebenden Bürgertum. Dieser Wunsch nach angemessener bildlicher Präsentation der eigenen Person führte zu einer Blüte der Porträtkunst in Bern und bot ansässigen sowie auswärtigen Meistern des Fachs eine reiche Auftragslage.
Die herausragende Bedeutung des Porträts in der Berner Bildproduktion vergangener Jahrhunderte spiegelt sich auch in den Beständen der Burgerbibliothek Bern wider. Darstellungen namhafter Berner Persönlichkeiten bilden einen wichtigen Schwerpunkt nicht nur in der Gemäldesammlung. Auch die Grafische Sammlung, das Fotoarchiv und die Privatarchive weisen eine Vielzahl verschiedenster Porträts auf.
Neben der eigenen Sammlung führt die Burgerbibliothek Bern seit 1962 eine fotografische Dokumentation zu Berner Porträts des 16. bis 19. Jahrhunderts in Privatbesitz, öffentlichen Institutionen und im Kunsthandel. Diese ermöglicht einen visuellen Zugang auch zu jenen verborgenen Bildern, die sich für die Öffentlichkeit unzugänglich in privaten Sammlungen befinden oder deren Verbleib heute gänzlich unbekannt ist.
Mit der Onlinestellung sowohl der eigenen Bestände der Burgerbibliothek Bern als auch der Werke in fremdem Besitz steht ein ausserordentlich reicher und kostbarer Bilderschatz nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Über 8600 Porträts laden dazu ein, Bernerinnen und Bernern vergangener Zeiten zu begegnen und zu entdecken, wie sie sich Künstlern, Zeitgenossen und Nachfahren präsentierten.
Der Online-Zugriff
Die grosse Fülle der Berner Porträts und Wappen ist neu im Online-Archivkatalog der Burgerbibliothek Bern vorhanden. Zusätzlich eröffnet das Portal Archives Quickaccess einen eigenen thematischen Zugang. Spezielle Suchmasken ermöglichen gezielte Recherchen zur Berner Familien- und Personengeschichte. Bei Porträts, die sich heute in öffentlichen Sammlungen befinden, verweist zudem ein Link auf die Website der jeweiligen Institution, sodass die Forschungen weitergeführt werden können. Die privaten Eigentümer von Porträts bleiben aber selbstverständlich ungenannt. Das Familienwappen von Erlach oder das Bildnis der Salome Graviseth finden so einen neuen Weg an die Öffentlichkeit.
Die beiden jetzt aufgeschalteten Dokumentationen zu Porträts und Wappen bieten, nebst dem seit 2016 verfügbaren «Historisch-topographischen Lexikon der Stadt Bern», Suchmöglichkeiten zu weiteren zentralen Aspekten der Berner Geschichte. Das Informationsangebot von Archives Quickaccess wird auch weiterhin kontinuierlich ergänzt.