Die Abenteuer des Orientalisten Eberhard von Mülinen
TEXT: NADJA GLARNER; BILDER: BURGERBIBLIOTHEK
Eberhard von Mülinen wurde 1861 als Sohn des Historikers Egbert Friedrich von Mülinen und von Sophie Mutach in Bern geboren. Er war das sechste von sieben Kindern. Seine Schwester Helene von Mülinen erlangte später als Frauenrechtlerin Bekanntheit. Den jungen Studenten zog es von Bern an die Universitäten Montpellier, Berlin, Pisa und Tübingen, wo er sich unter anderem in die Fächer Recht, Geschichte und arabische Sprachen vertiefte. Nach bestandener Promotion zum Thema des islamischen Lehensrechts nahm Eberhard von Mülinen die preussische Staatsbürgerschaft an, um in den Auswärtigen Dienst des Deutschen Kaiserreichs eintreten zu können. 1888 begann er seine Laufbahn als Dolmetscher im diplomatischen Dienst mit einem Lehrjahr auf dem deutschen Konsulat in Beirut. Anschliessend arbeitete er im Generalkonsulat in Konstantinopel (Istanbul). Nach einer überstandenen Typhusinfektion amtete Eberhard von Mülinen als stellvertretender Konsul im griechischen Thessaloniki und war später erneut im Konsulat in Konstantinopel tätig. Von dort wurde er 1895 als Sonderkommissar nach Tel Aviv-Jaffa beordert, um den umstrittenen Grundbesitz der dortigen deutschen Kolonie zu sichern.
Einer der Höhepunkte seiner Karriere war die Palästinareise von Kaiser Wilhelm II. im Herbst 1898. Den Heimweg aus Jerusalem trat Eberhard von Mülinen 1899 im Gefolge von Kaiserin Auguste Viktoria an und wurde anschliessend zu ihrem Kammerherrn ernannt. Neben zahlreichen Dienstreisen im Deutschen Reich und erfolgreichem Konsulatsexamen begleitete Eberhard von Mülinen den Kaiser im Jahr 1901 zur Einweihung des Kaiserbrunnens nach Konstantinopel.
Grosse Überlastung und gesundheitliche Probleme zwangen Eberhard von Mülinen jedoch dazu, den Hofdienst bereits nach wenigen Jahren wieder aufzugeben, woraufhin er mehrere Urlaubsreisen in die Schweiz und die Türkei unternahm. 1906 begab er sich zusammen mit seinem älteren Bruder, dem burgerlichen Forstmeister Hans Friedrich von Mülinen, und dem befreundeten Berufskollegen Girgi Dimitri Sursock auf eine längere Forschungsreise. Die Route führte die drei unter anderem über das heutige Ägypten, Libyen, Syrien und den Libanon nach Israel ins Karmelgebirge, das Eberhard von Mülinen über längere Zeit erforschte. Im Sommer des Jahres 1909 war er in ausserordentlicher Mission in Aleppo, wo er die Errichtung des Deutschen Konsulats vorbereitete. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz heiratete Eberhard von Mülinen seine Cousine Constance Sinner. Anschliessend wurde er zum Deutschen Konsul von Damaskus berufen. Kurz vor seiner Abreise erlitt er jedoch einen Leistenbruch, der umgehend operiert werden musste, sodass er diese Stelle nicht antreten konnte und auch später nie wieder in den aktiven Auswärtigen Dienst eintrat.
Ab dem Jahr 1911 und bis zu seinem Tod 1927 residierte Eberhard von Mülinen im Sommer überwiegend im neu erworbenen Rosengartengut in Gerzensee und im Winter im Sässhaus an der Gerechtigkeitsgasse in Bern. Als Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas pflegte er Korrespondenzen mit anderen deutschen Orientalisten und Diplomaten und widmete sich ganz seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Die orientalische Handschriftensammlung, die er während seiner zahlreichen Reisen angelegt hatte, diente ihm in dieser Zeit als Basis für seine eingehenden Studien über die islamische Religion und den Sufismus.