TEXT: MARTIN GRASSL; BILDER: MICHAEL ISLER
Montagabend im grossen Saal des Kirchgemeindehauses Bethlehem im Westen Berns. Über ein Dutzend junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren proben hier für den grossen Theaterauftritt. Die zweieinhalbstündige Probe unter professioneller theaterpädagogischer Anleitung beginnt auf spielerische Art. Bewegungsspiele leiten fliessend zu improvisatorischen Stimmübungen über. Anschliessend bringen formierte Einzelgrüppchen aus dem Fluss heraus bühnentaugliche Nummern zustande. Es wird gemeinsam gelacht und probiert, verworfen und von neuem Anlauf geholt. Dabei fällt kaum auf, dass zwei Drittel der Mitwirkenden Geflüchtete sind. Die kulturellen Unterschiede zwischen allen Beteiligten scheinen hier wie aufgehoben.
Was war der Beweggrund für die Junge Bühne Bern, Geflüchtete in ihren Produktionen miteinzubeziehen?
Christoph Hebing (Mitbegründer Junge Bühne Bern): Die Junge Bühne Bern war seit ihrer Gründung 2006 immer schon gegenüber allen Teilnehmenden offen. Anlässlich einer Koproduktion zusammen mit dem Schlachthaustheater Bern waren erstmals geflüchtete Jugendliche Teil eines Projekts. Die stetige Nachfrage dieses Angebots bewog uns 2016 dazu, zusätzlich zu unserem Betrieb ein spezielles Gefäss, «Theater kennt keine Grenzen» zusammen mit Geflüchteten, zu schaffen. Seither haben wir mit TKKG jedes Jahr eine Produktion auf die Beine gestellt. Besonders im Asylbereich tätige Kirchen oder Institutionen weisen die betreffenden Jugendlichen auf unser Angebot hin.
Woher stammen die geflüchteten Jugendlichen?
Die Herkunft der Jugendlichen ist immer sehr gemischt. Zurzeit stammen sie aus dem Iran, Afghanistan, Somalia, Eritrea oder dem Kosovo sowie aktuell aus der Ukraine. Schweizer Jugendliche sind aber ebenso dabei. Das macht TKKG ja gerade aus.
Weil TKKG dadurch einen Beitrag zur Integration leistet?
Ich persönlich mag das Wort Integration nicht besonders. Gegenseitiger Austausch passt mir besser. In unseren Theaterstücken sollen sich alle, so wie sie sind, einbringen und eine Stimme haben. Durch das Theater sollen Vorurteile abgebaut und soll das Bewusstsein für das Andere geschärft werden. Die Regie ist davon nicht ausgenommen. So habe etwa auch ich anlässlich eines Stücks zum Thema Gender letztes Jahr einige meiner Anschauungen revidieren müssen.
Kommt die Regie mit einem fixfertigen Stück an den Probenbeginn?
Nein. Unser Ansatz ist, wie bei der Jungen Bühne Bern auch, partizipativ und lebt vom Potenzial und von den Ideen der Mitspielenden. Wir fangen immer bei null an. Wir haben zu Projektbeginn jeweils keine Vorstellung, wohin es geht. Deshalb beansprucht die Findungsphase etwa zwei Drittel der Projektdauer und die Probephase den Rest.
Wie sieht die Findungsphase konkret aus?
Wir beginnen immer sehr spielerisch. Namen oder Kennenlernspiele sind Teil der Phase, aber auch Bewegung oder Choreografien spielen eine wichtige Rolle. Die Regie bringt vor allem Prozesse in Gang und koordiniert das Drumherum wie Bühnenbild, Musik oder Licht. Ganz essenziell ist die Interaktion innerhalb der Gruppe, auch ausserhalb der Probephasen: Denn die oftmals neu geknüpften Bekanntschaften und Freundschaften erweisen sich häufig als Treiber des entstehenden Stücks.
Wieso geht TKKG in den Westen Berns?
In Berns Westen gibt es viele Menschen, die nicht für einen Theaterbesuch in die Stadt kommen. Gleichzeitig ist die kulturelle Vielfalt hier riesig. Deshalb wollten wir einmal selber in diesen Stadtteil gehen und das Theater dann auch hier aufführen.
Ist Berns Westen eigentlich so anders?
Der Westen ist eine eigene Welt, und doch ist unser Bild von ihm hier in der Kernstadt unzutreffend. Dass es dort gefährlich sei und unkultiviert zu und her gehe, stimmt nicht. Der Westen ist nur schon kulturell und kulinarisch sehr vielfältig. Mir persönlich kommt er vor wie die grosse Ausgabe des Hauses der Religionen am Europaplatz.