Günstiges Studi-WG-Zimmer gegen Betreuungsarbeit
TEXT: DANIELA EPP; BILDER: FRANZISCA ELLENBEGRER
Seit Beginn des Herbstsemesters können zwei Studentinnen der Universität Bern von einem unschlagbaren Angebot profitierten. Denn der Burgerspittel im Viererfeld bietet im Rahmen eines Pilotprojekts günstigen Wohnraum für Studierende an. Im Gegenzug zum günstigen 2er-WG-Zimmer werden monatlich eine Anzahl Arbeitsstunden in der Betreuung erwartet. Das Angebot löste einen regelrechten Run aus. Die Medizinstudentin Anna Egli aus dem Thurgau und die Sportwissenschaftsstudentin Laura Kobler aus Zürich bekamen den Zuschlag und stellen sich derzeit dem neuartigen Experiment.
Innovative Idee
In der Schweiz fehlen bis ins Jahr 2030 über 65 000 Pflegefachleute. Sie erbringen neben der Pflege auch Leistungen in der ebenso wichtigen Betreuung. Der Mangel an Pflegefachleuten macht sich auch in der Betreuungsarbeit bemerkbar. Die Betreuung von alten Menschen muss jedoch nicht zwingend durch Pflegefachpersonen, sondern kann auch von Menschen mit hoher Sozialkompetenz und Empathie übernommen werden. Was schon in Holland erfolgversprechend ist, wird nun auch im Burgerspittel ausprobiert: günstiger Wohnraum für Studierende gegen Betreuungsarbeit.
Laura Kobler freut sich schon sehr auf die Herausforderung, die sich ihr in den nächsten Monaten stellen wird: «Ich habe mich bereits in meinem Heimatkanton Zürich über generationenverbindende Wohnformen informiert. Als ich dann von meiner Mutter von diesem konkreten Wohnangebot an meinem künftigen Studienort in Bern erfuhr, habe ich mich sofort beworben», erklärt sie. Sie hatte Erfolg und lebt nun seit Mitte September mit ihrer Mitbewohnerin Anna Egli im vierten Stock des Westbaus. Neben ihrem Studium ist sie rund sechs bis acht Stunden pro Woche in der Betreuung tätig. Anna Egli dagegen ist über ein Zeitungsinserat auf das Angebot gestossen. Da ihr Budget für das Studium sehr begrenzt ist und sie bereits während des Gymnasiums in einem Kino gearbeitet hat, fand sie das Experiment sehr passend, aber auch spannend. Beide dürfen sehr
selbstständig tätig sein und versuchen, die Wünsche der älteren Bewohnenden zu erfüllen. «Die Menschen, die ich am Einführungstag kennenlernen durfte, haben schon jetzt meinen Horizont erweitert», sagt Laura Kobler mit einem Lächeln, «es ist spannend, in ihre Welt einzutauchen und mich mit ihnen auszutauschen.»
Der Burgerspittel vermietet die beiden möblierten Zimmer mit Bad, Küche und Terrasse zum Grundpreis von je 800 Franken. Die Miete schliesst Strom, Internet, Kehrichtentsorgung, bei Bedarf einen Parkplatz, dazu vergünstigtes Mittagessen im Personalrestaurant mit ein. Das selbstbestimmte Stunden- Engagement von Laura und Anna wirkt sich dann entsprechend auf die Miete aus. Leistet eine Studierende beispielsweise 24 Stunden pro Monat, muss sie lediglich noch rund 230 Franken Miete bezahlen. Der Mietvertrag, hängt mit dem separaten Arbeitsvertrag zusammen: Wer keine Betreuungsarbeit leistet, kann hier nicht wohnen. Auf Prüfungsphasen und Semesterferien nimmt der Burgerspittel Rücksicht und kommt den Studentinnen auch beim Arbeitspensum entgegen: Das Studium hat oberste Priorität.
Die Projektverantwortliche des Burgerspittels, Susanna Laederach, war sich zu Beginn nicht sicher, ob das Angebot auf Interesse stossen würde: «Ein vergleichbares Angebot gibt es bislang nirgends in der Schweiz. Ich war gespannt auf die Reaktionen der Studierenden und auch darauf, wer sich melden würde.» Susanna Laederach war überrascht, schon in der zweiten Woche der Ausschreibung erhielt sie eine Vielzahl sehr guter Bewerbungen. «Beide Seiten können nur profitieren», ist sie überzeugt. Damit liegt sie nicht falsch. Die beiden im Burgerspittel lebenden Studentinnen können dank ihrer sozialen Ader ihr Studium mitfinanzieren und zentrumsnah wohnen, während den älteren Menschen das soziale Engagement der jungen Bewohnerinnen zugutekommt. Sofern die Pilotphase gut verläuft, will der Burgerspittel das Projekt ausweiten und mehr solche WG-Wohnungen anbieten.