TEXT: MARTIN GRASSL; BILDER: YASMINE PAUCHARD
Was hat die Black-Lives-Matter-Bewegung in Euch persönlich ausgelöst?
Joel Uloth (Zunftangehöriger): Black Lives Matter hat mich nochmals aufmerksamer werden lassen. Die Thematik war für mich aber nicht neu.
Anna Katharina Laederach (Zunftspräsidentin): Wir leben in einer globalisierten Gesellschaft, in der die Integration aller Menschen wichtig ist. Als Zunft wollen wir integrieren und nicht ausschliessen.
Christoph Ott (Mitglied Vorgesetztenbott): Die Bewegung wurde durch die Polizeigewalt in den USA gegenüber People of Colour ausgelöst und hat weltweit Wellen geschlagen. In mir hat sie grosse Betroffenheit ausgelöst. Die Intensität der Bewegung hat etwas bewirkt, was ich begrüsse.
Wann wurde die Debatte für die Zunft zum Mohren zum unausweichlichen Thema?
CO: Das Thema kam bei uns vor etwa zehn Jahren aufgrund eines Vorstosses im Stadtrat wegen unseres Namens und der sichtbaren Symbolik auf den Tisch. Wir bekamen Mühe, uns in diesem Zusammenhang mit unserem Namen zu identifizieren, denn wir sind keine Zunft von Rassisten. Schliesslich haben wir vor fünf Jahren im Vorgesetztenbott der Zunft (Pendant Gemeinderat, A.d.R.) das Thema Namenwechsel konkret behandelt und mit dem aktiven Meinungsbildungsprozess begonnen.
Was gab letztlich den Ausschlag für den Namenswechsel?
CO: Aufgrund interner Diskussionen und auch im Austausch mit Experten sowie People of Colour wurde rasch klar, dass der Name «Zunft zum Mohren» weder angebracht noch zukunftsfähig war. People of Colour wollen sich nicht als Mohren bezeichnen lassen und fühlen sich dadurch diskriminiert. Weiter fiel es vielen Zunftangehörigen schwer, sich mit der bisherigen Symbolik zu identifizieren, insbesondere jungen Angehörigen. So gab es etwa an unserem jährlichen Kinderfest jeweils ein Badetuch mit unserem Zunftwappen darauf zu gewinnen. Ein Sieger sagte mir einmal, dass er damit nicht ins Marzili gehen könne. Um noch eine Zukunft als Zunft haben zu können, mussten wir eine Namensänderung vorschlagen, diese Erkenntnis hat sich im Vorgesetztenbott schnell durchgesetzt.
JU: Ich fühlte mich unter Freunden oft unwohl, wenn ich mich ihnen gegenüber als Angehöriger der Zunft zu Mohren bekannte. Hätte die Zunft ihren Namen nicht geändert, so hätte ich definitiv nicht mehr dazugehören wollen.
Joel Uloth, welche Rolle spielt die Zunft überhaupt aus Ihrer jugendlichen Perspektive?
Ich wurde durch meine Eltern ins Zunftleben eingeführt. Sie ist für mich ein Ort von Gemeinschaft, früher nahm ich an ihren Festen teil, mittlerweile bin ich ins Stubenrecht aufgenommen worden.
Die Statue an der Fassade des Zunfthauses bleibt aus denkmalschützerischen Gründen bestehen. Ist geplant, sie in einen geschichtlichen Kontext zu stellen?
CO: Im Laubenbogen unter der Statue ist eine Tafel angebracht, die den Kontext erklärt. Der Text darauf wird nun aktualisiert.
JU: Das finde ich gut! Wenn die Statue wie in einem Museum erklärt wird, bekommt ihre Präsenz im Raum sofort eine andere Bedeutung.
Christoph Ott, Sie sind schon länger in der Zunft engagiert. Wie blicken Sie auf die jüngsten Ereignisse zurück?
Im Mai 2022 wurde im Grossen Bott (Gemeindeversammlung, A.d.R.) über die Namensänderung abgestimmt. Ich war persönlich sehr erfreut, dass sie von einer derart deutlichen Mehrheit befürwortet wurde.
AKL: Es gab Menschen, die zunächst gegen die Namensänderung waren, sich aber im Laufe der Zeit neu positioniert haben. Viele brauchten auch etwas Zeit, um sich eine Meinung zu bilden.
JU: Die Namensänderung hat der Zunft einen Schub nach vorn gegeben, weg vom Traditionalismus.
CO: Genau, wir haben einen anderen Auftrag, als nur die Tradition zu bewahren.
AKL: Der neue Name gibt uns die Möglichkeit, uns wieder vermehrt auf unser ursprüngliches Handwerk zu berufen. Alle, die ich für ein Engagement in der Zunft bisher angefragt habe, zeigten sich seit dem Namenswechsel viel motivierter, Neues anzupacken, was schön zu erleben ist.
Ist die Debatte für die Zunft mit dem Namenswechsel nun abgeschlossen?
CO: Die Vergangenheit von 500 Jahren unter dem Namen «Mohren» ist dadurch nicht einfach getilgt. Der Namenswechsel ist aber ein Schritt in die Zukunft und führt uns wieder näher zum ursprünglichen Handwerk zurück.
AKL: Durch den Namenswechsel allein gerät das Thema nicht automatisch aus dem Blick, weil die alte Symbolik nur schon im Innern des Zunftgebäudes allgegenwärtig ist. Aber wir knüpfen mit dem neuen Namen «Schneidern» an die Ursprünge der Zunft an, weil sie ganz am Anfang nämlich so geheissen hat.
Anna Katharina Laederach, Sie sind seit Jahresbeginn neue Zunftspräsidentin. Was wollen Sie im Besonderen anpacken?
AKL: Ich möchte die Zunft und ihr Haus zeitgemäss beleben sowie die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen. Besonders Zunftangehörige, die zuvor nicht engagiert waren, möchte ich gerne ins Boot holen. Wir wollen einige Projekte anstossen. Als erstes planen wir eine Veranstaltung «60+», schrittweise wollen wir weitere Aktivitäten durchführen – auch für die Jungen.
JU: Finde ich eine gute Idee!
Sind spezielle Engagements im Zusammenhang mit dem neuen Zunftnamen geplant?
AKL: Ja, wir wollen in Zukunft Lernende im Bereich Bekleidungsnäherin und -näher sowie Bekleidungsgestalterin und -gestalter unterstützen sowie eine Vortragsreihe zum Thema initiieren. Ebenso sind weitere Engagements geplant.