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«I bi hie am Schärme»

16.05.2022

Mehr Erfahrung an einem Tisch geht eigentlich kaum. Eine Pflegehelferin, die ihr ganzes Berufsleben im Bugerspittel verbracht hat, eine 94-jährige freiwillige Mitarbeiterin sowie eine langjährige Bewohnerin sinnieren über «ihre» Altersinstitution. Und trauern kaum alten Zeiten nach. Meist sogar ganz im Gegenteil.

TEXT: PASCAL MATHIS; BILDER: CAROLINE MARTI

Ein Unikum? «Ja, äuä scho…», sagt Barbara Streitmatter und lächelt. Die Pflegehelferin arbeitet seit 45 Jahren im Burgerspittel im Viererfeld und weiss um ihre aussergewöhnliche Karriere. Es werde wohl niemand mehr so lange im Burgerspittel bleiben, wie sie es tat. «Aber warum hätte ich wechseln sollen?» Es passte einfach, meint sie ganz selbstverständlich.

«Zum Glück!», wendet Antoinette Studer ein. Eigentlich sei sie noch nicht so weit gewesen, in die Altersinstitution zu ziehen, so die Bewohnerin, die nun seit 14 Jahren im Viererfeld wohnt. Aber das Haus und der Mann, der nicht mehr gesund gewesen sei, hätten den Schritt beschleunigt. Und jetzt? «Ich fühle mich sehr wohl und bin hier ‹am Schärme›.»

Freiwillige unterstützen das Pflegepersonal
Damit man sich «am Schärme» fühlen kann, braucht es nicht nur genügend und motiviertes Pflegepersonal, sondern auch weitere, die den Alltag unterstützen. Im Burgerspittel ist dies ein Team von 80 Freiwilligen, die den Bewohnenden Abwechslung in den Alltag bringen und das Personal entlasten. Dory Kräuchi gehört dazu, sie rutschte einst aus Zufall in das Team. «Nach dem Tod meines Mannes dachte ich, das könnte noch interessant sein.»

Es wurde interessant, sonst wäre Dory Kräuchi nicht schon seit über 15 Jahren dabei. Sie singt und spielt mit den Bewohnenden, geht mit ihnen spazieren, färbt Ostereier oder hilft beim Güetzi backen. «Die Arbeit ist einfach sinnhaft!», schwärmt sie. Sie habe eine ältere Schwester gehabt, die an Demenz erkrankt sei. Wenn sie nicht als Freiwillige Erfahrungen im Umgang mit kranken Leuten hätte sammeln dürfen, dann hätte sie den Verlust der Schwester wohl noch schlechter ertragen, meint Dory Kräuchi.

Sie spricht etwas an, was Pflegehelferin Barbara Streitmatter in den letzten Jahrzehnten beobachtet hat. Ältere Menschen kämen heute später hierher. Früher sei man nach der Pensionierung bald einmal in ein Altersheim eingezogen. Heute warte man oft, bis eine Krankheit oder Demenz eine schnelle Veränderung erfordere. «Das sind dann harte Momente», sagt Barbara Streitmatter, «und eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten».

Skype ersetzt die Nähe nicht
Dafür gab es früher andere schwierige Momente. Für Gespräche und persönliche Betreuung blieb viel weniger Zeit. Auch, weil es zu ihren Anfängen noch keine Freiwilligen gab, welche die Pflegenden entlasteten. Umso schöner und wichtiger sei es heute, zwischenmenschliche Beziehungen besser pflegen zu können, ergänzt Barbara Streitmatter.

Antoinette Studer nickt. Sie sei sehr froh zu wissen, jederzeit auf das Angebot für einen Austausch zurückgreifen zu können. Ihre Familie lebe nicht in der Schweiz, sagt die gebürtige Holländerin. «Und das Skypen mit meinem Sohn ersetzt die Nähe halt doch nicht.»

À propos Nähe und Austausch: Dory Kräuchi, die freiwillige Mitarbeiterin, könnte sich dies auch in einer Wohngemeinschaft vorstellen, «mit drei, vier guten Kolleginnen. Das wäre für mich die beste Lösung.» Aber dafür sei sie nun wohl zu spät dran. Sie weiss und schätzt es, für ihr Alter noch überdurchschnittlich fit zu sein. «Und ja, dir dörfets gnau wüsse!», sie sei Anfang Jahr 94 Jahre alt geworden, sagt sie stolz.

Jeden Tag ein kleiner Aufsteller
Und was braucht es, jeden Tag wieder aufs Neue zu meistern? Für Pflegehelferin Barbara Streitmatter, deren Arbeit von vielen unterschätzt werde, sind es die kleinen Dinge im Alltag. «Wenn zum Beispiel jemand plötzlich wieder selbstständiger aufstehen kann, dann tut mir das sehr gut.» Nie aufzugeben lohne sich, was auch Bewohnerin Antoinette Studer bestätigt: «Sich bewegen und laufen, das geht immer », lacht sie, auch wenn die Kondition nicht mehr dieselbe sei wie auch schon.

Derweil ist für die Freiwillige Dory Kräuchi ihr gesamtes Engagement ein purer Gewinn. «Manchmal gibt mir mein Einsatz fast mehr zurück, als ich den Bewohnenden und den Pflegenden geben kann.»

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