Auf der Wellenlänge von Radio loco-motivo Bern
TEXT: MARTIN GRASSL; BILD: ZVG
Der Psychiatriepfleger Gianni Python begegnete der besonderen Radioidee während eines zweijährigen Praktikumsaufenthalts in einer psychiatrischen Klinik im chilenischen Valparaiso. Dort wurde einmal wöchentlich die eigens produzierte Sendung «Radio Loco» ausgestrahlt, ganz nach dem argentinischen Vorbild «La Colifata». Gianni Python beobachtete, wie sehr die Radioarbeit den Patientinnen und Patienten eine aktive Rolle verlieh und ihnen half, die krankheitsbedingte Isolation und Stigmatisierung zu überwinden. Für Python stand fest, bald eine solche Sendung in der eigenen Heimat zu initiieren: weil auch bei uns jeder Mensch Psychiatriepatient werden und plötzlich vom Verlust sozialer Teilhabe betroffen sein könnte.
Gründung von Radio loco-motivo in Bern
Zurück in der Schweiz ging Python an die Umsetzung von Radio loco-motivo. Für ein gutes Projektgelingen war das Gewinnen tatkräftiger Partner entscheidend. So gelangte er zunächst an die erfahrene Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie Bern igs, welche ihm psychiatriespezifisch zur Seite stand und die Projektkoordination zusammen mit der Zürcher Radioschule klipp+klang übernahm. Dieses zeichnete sich mit ihrer Erfahrung im Bereich «Empowerment» verantwortlich, die Patientinnen und Patienten ins Radiohandwerk einzuführen. Radio Bern RaBe schliesslich sagte die Nutzung seiner Sendeinfrastruktur samt Redaktionsräumen zu und bot so ein Dach für gelebte Inklusion. Radio loco-motivo startete in Bern im Jahr 2011 mit einem rund achtköpfigen Redaktionsteam, begleitet von Gianni Python und später zusätzlich durch Heidi Kronenberg, einer ehemaligen Psychiatriepflegefachfrau und Radiojournalistin. Nach dem ermutigenden Erfolg der Pilotsendung folgte in den drei Folgejahren der Aufbau des regelmässigen Sendebetriebs.
Seitenwechsel und vielseitige Themen
Die jeweils stündigen Sendungen im monatlichen Rhythmus zu produzieren, war ein hoch gestecktes Ziel und wurde schon im Jahr 2012 erreicht. Dies war mit viel Basisarbeit und Lernprozessen verbunden. Das familiäre Redaktionsteam trifft sich mittlerweile jeden Mittwoch in den Räumlichkeiten von Radio Bern RaBe zu Planungssitzungen. Nebst Reportagen, etwa zu Freizeitangeboten für psychisch kranke Menschen oder Künstlerportraits, kommt auch Kritisches zur Sprache: die Stigmatisierung psychisch Kranker in der Psychiatrie, im Film oder Zwangseinweisungen in Kliniken. Aber auch Hörspiele oder Vertonungen literarischer Texte haben Platz. Für Reinhart Meister von der Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie Bern igs erlangen die Patientinnen und Patienten dank des Radiomachens eine gesunde Distanz zu ihren bedrohlichen Erkrankungen. Die positiv besetzte Arbeit am Mikrofon beflügle zudem ihre Neugier und setze einen Gegenakzent zur dauernden Selbstspiegelung. Mit jeder Sendung erreichen die Macher von Radio loco-motivo rund 20 000 offene Ohren im RaBe-Sendegebiet.
Prix Printemps 2015 und Ableger in Winterthur und Solothurn
Letztes Jahr wurde Radio loco-motivo Bern mit dem Prix Printemps 2015 ausgezeichnet, einer Auszeichnung für Menschen mit Behinderungen. Und das Berner Modell hat auch schon national Nachahmer gefunden: die Städte Winterthur und Solothurn verfügen mittlerweile selber über eigene Radio loco-motivos. Die Burgergemeinde unterstützt das wertvolle Projekt in Bern seit 2015 während dreier Jahre. Der Beitrag hilft mit, die Produktionskosten zu decken und somit die allmonatliche Ausstrahlung der Sendung zu ermöglichen.