Kurzer Lauf über das lange Leben
TEXT: ANDREA HIPP; BILD: JONAS MOSER
Unter den Füssen eine orangerote Tartanbahn, auf der Strecke verschiedene Hürden und an der Seitenlinie Schalensitze, wie man sie aus dem Stadion kennt. Der Schauplatz im ersten Ausstellungsraum ist sportlich. Schaut man sich die Laufbahn jedoch genauer an, fällt auf, hier handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Sportstadion. Die drei Bahnen haben unterschiedliche Startzeiten und Streckenlängen. Eine startet 1900 und ist nur kurz. Die 1950er-Bahn ist etwas länger und 2000 führt fast bis ans Ende des Raums. Die Laufbahnen stehen für die Lebenserwartung bei entsprechendem Geburtsjahr. Und machen deutlich: Unsere Lebenserwartung hat sich in den letzten 100 Jahren beinahe verdoppelt.
Entlang der Laufbahn zeigt eine Infografik mit farbigen Kurven, was wir mit dem Älterwerden gewinnen und verlieren. Dabei sind die Aussichten für körperliche Leistungsfähigkeit düster: Muskelkraft, Ausdauer und Schnelligkeit nehmen bereits ab dem 30. Lebensjahr stetig ab, und auch die kognitive Leistung sinkt, wenn auch etwas weniger steil. Die Grafik zeigt aber auch Erfreuliches. So steigen mit dem Alter die allgemeine Zufriedenheit und das finanzielle Vermögen. Zumindest sagen dies die Statistiken. Vier Kommentatoren auf den gegenüberliegenden Schalensitzen ordnen diese Zahlen aus fachlicher Sicht ein. Kinderarzt Remo Largo etwa relativiert die Aussagekraft des kalendarischen Alters und Philosoph Ottfried Höffe meint, gutes Altern wolle gelernt sein.
Wer die Hürden geschickt umgeht, wird über die Laufbahn mit der Frage «forever young?» in den nächsten Ausstellungsraum geführt. Hier erzählt ein Animationsfilm vom uralten Menschheitstraum der ewigen Jugend, vom medizinischen Fortschritt, dank dem die Lebenserwartung im letzten Jahrhundert gesteigert werden konnte, und von den Bemühungen im Silicon Valley, den Code des Alterns zu knacken. Dann geht hinter der Filmprojektion eine Tür auf, und den Besucherinnen und Besuchern eröffnet sich der Blick auf einen überdimensional inszenierten DNA-Strang. Liegt hier der Schlüssel zum ewigen Leben?
An der Installation des DNA-Strangs berichten eine Expertin und ein Experte aus der medizinischen Altersforschung vom Stand der Wissenschaft. Das Rätsel, warum wir Menschen altern, ist nicht abschliessend geklärt. Es gibt allerdings vielversprechende Fährten. Im Anti-Aging-Labor laden Arbeitsplätze mit Mikroskopen zur Entdeckung der genetischen und zellulären Vorgänge in unserem Körper, die uns altern lassen. Rund um das Labor lockt der Anti-Aging-Markt mit Versprechen für ein jugendliches Aussehen: faltenfrei dank Botox, einer Crème mit pflanzlichen Stammzellen oder mittels jungem Blut. Die Angebote reichen von überteuert bis absurd, die Umsatzzahlen zeigen jedoch, die Nachfrage nach Anti-Aging-Produkten ist real.
Das Altersbild der Anti-Aging-Industrie wird im folgenden Ausstellungsraum von 100 Menschen, mit ganz unterschiedlichen Einstellungen zum Älterwerden, relativiert. In einer Videoinstallation treten die 10- bis 100-Jährigen miteinander in einen Dialog: Wann ist man alt? Welches ist das beste Alter? Was machen Sie, um das Alter aufzuhalten? Und wer will für immer jung bleiben oder gar ewig leben? Im letzten Raum blicken vier Hundertjährige in Bildern zurück auf ihr langes Leben und sagen, was bleibt, bevor man geht.