Hand in Hand in Insektenfragen
TEXT: STEFANIE CHRIST; BILDER: NELLY RODRIGUEZ / THEA SONDEREGGER (Grafik)
Seit rund 45 Jahren sammelt der pensionierte Gymnasiallehrer Raymond Guenin weitgehend aus dem Alpenraum stammende Rot- und Grünwidderchen. Sie gehören zur Familie der Zygaenidae und sind beinahe ausnahmslos tagaktive Schmetterlinge. Raymond Guenins Sammlung ist in ihrer Art einzigartig, ein wahres «Bijou», wie Hannes Baur, Kurator am Naturhistorischen Museum Bern, sagt. Hannes Baur betreut an der Institution der Burgergemeinde Bern die entomologische Sammlung, also jene der Insekten. Diese erhält nun Zuwachs: Raymond Guenin – wie Hannes Baur seit Jahrzehnten Mitglied des Entomologischen Vereins Bern – übergibt dem Naturhistorischen Museum Bern 16 700 Widderchen. Hannes Baur freut sich, dass damit eine Lücke geschlossen werden kann: «Kaum jemand hat in der Schweiz bisher zu Widderchen geforscht, und Raymond Guenins Sammlung ist eine der wenigen, mit der Grundlagenforschung betrieben werden konnte. Die Sammlung ist komplett erschlossen und alle Tiere sind somit präpariert und bestimmt.» Die Übernahme zeigt, wie eng das Museum mit dem Entomologischen Verein Bern EVB verbunden ist und wie stark es von ihm profitiert hat. Von den rund 2,5 Millionen Insekten der Sammlung des Museums stammen drei Viertel aus dem Besitz von Vereinsmitgliedern. Aber alles der Reihe nach.
Museumskurator durch Verein ermöglicht
Als im 18. und 19. Jahrhundert das Interesse an Naturwissenschaften stetig steigt, wenden sich auch in Bern Interessierte vermehrt diesen Fachgebieten zu. Aus einem Naturalienkabinett entsteht schliesslich das Naturhistorische Museum Bern, das zusammen mit einer Insektensammlung Anfang des 19. Jahrhunderts in der Hotelgasse erste Räume bezieht. Wenig später wird erstmals auch ein Berner Insekten-Verein erwähnt, die offizielle Vereinsgründung findet 1858 statt. Das Vereinsmitglied Moritz Isenschmid (1850–1878) widmet sich in seinem kurzen Leben den Insekten, baut eine vielbeachtete Sammlung auf und hinterlässt sie nach seinem Tod dem Museum – zusammen mit 80 000 Franken. Sie sollen gemäss Testament inklusive anfallender Zinsen «für die Besoldung eines entomologischen Conservators, die Errichtung einer Bibliothek und die Besorgung und Vermehrung der entomologischen Sammlung» im Museum verwendet werden. Der erste Konservator tritt 1879 diese Position an, heute hat Hannes Baur die Stelle inne, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts vom Museum finanziert wird.
Übergabe ans Museum keine leichte Trennung
Isenschmids Sammlung ist heute nurmehr aufgrund seiner Handschrift zu identifizieren, da die Insekten nicht unter seinem Namen verzeichnet wurden. Raymond Guenins Sammlung wird nun akribisch erfasst und ins Museum integriert. Noch lagern die Sammlungskästen in Raymond Guenins Zuhause, und ganz leicht fällt ihm die Trennung nicht. «Aber so ist für die Zukunft alles geregelt, und ich weiss, dass die Sammlung im Museum gut aufgehoben ist. Zudem kann ich jederzeit vorbeischauen.» Es sei schön zu wissen, dass künftige Forschende mit seinen Widderchen arbeiten können.
Vom Wert einer Sammlung
16 700 Widderchen, die Raymond Guenin in mehr als vier Jahrzehnten gesammelt hat, kommen ins Naturhistorische Museum Bern. Das Museum bezahlt dem passionierten Entomologen für die wissenschaftlich wertvolle Sammlung einmalig 16 700 Franken – also 1 Franken pro Exemplar. Würde sich ein Kurator mit 100 Stellenprozenten diesen Insekten im selben Ausmass widmen, bräuchte er fürs Sammeln, Präparieren und Bestimmen der Widderchen rund 10 Jahre. Mit einem Durchschnittslohn gerechnet inklusive Material ergäbe dies einen Aufwand von rund 1,5 Millionen Franken.