In fünf Etappen durch den Schosshaldenwald
Halt Nr. 1 - Vom Waldboden zum Schienennetz
Erster Halt auf unserem Spaziergang ist der östliche Waldrand. Grosse Bagger stehen da und es ist offensichtlich, das hier etwas Neues entsteht. Wo vor kurzem noch Bäume gewachsen sind, werden in Zukunft Personenwagen der SBB gereinigt. Aus waldbaulicher Sicht wohnen wir einer hierzulande seltenen Rodung bei: wenn also Waldboden umgenutzt wird. Hier werden für sehr lange Zeit keine Bäume mehr wachsen. In der Schweiz entsteht Bauland selten auf Kosten der Waldfläche. Ausnahmen gibt es, wenn es nicht anders geht. Ein solcher Eingriff wird nicht durch den Forstbetrieb beschlossen, sondern durch die politischen Behörden veranlasst. Forstmeister Stefan Flückiger zeigt uns Bilder von Rodungen aus anderen Ländern. In der Schweiz wird nur sehr wenig gerodet.
Halt Nr. 2 – Der Förster arbeitet für die nächste Generation
Bäume wachsen langsam - eine Eiche beispielsweise nur ungefähr vier Millimeter pro Jahr! Umso wichtiger ist die vorausschauende Planung. Für einen Jungbaum ist entscheidend, wie die Umweltbedingungen in 40 bis 100 Jahren sein werden. Dabei spielen auch klimatische Veränderungen eine Rolle. In einem halben Jahrhundert wird es gemäss Klimaexperten in Bern zwischen zwei bis vier Grad wärmer sein. Dies entspricht etwa dem heutigen Klima am Langensee! In der Jungwaldpflege müssen deshalb bereits heute Baumarten berücksichtigt werden, die mit den zukünftigen Bedingungen zurechtkommen. Zusätzlich ist auch die Verteilung der Baumgruppen im Wald wichtig. Ein Wald sollte immer aus etwa gleich grossen Anteilen an jungen, pubertären und erwachsenen Bäumen bestehen. Nur mit einer guten Altersstruktur werden auch unsere Kinder und Grosskinder einen gesunden Wald erleben. Ein Förster arbeitet also immer auch für die nächsten Generationen!
Halt Nr. 3 – Wie funktioniert Waldbewirtschaftung?
Wir bleiben am Rand einer Gasse stehen. Es ist eine Sackgasse und am Boden liegen viele Äste. Was auf den ersten Blick wie eine willkürliche verlaufende Schneise aussieht, stellt eine sogenannte «Rückegasse» dar. Grosse Forstmaschinen, die unter anderem auf eine bodenschonende Waldbearbeitung ausgerichtet sind, fahren nur auf diesen Gassen in den Wald. Von dort aus operieren sie mittels langen Greifarmen im Waldesinnern. Die Äste am Boden sorgen einerseits für die Nährstoffrückführung in den Wald und dämpfen andererseits das Gewicht der Maschinen. Bevor die Forstfachleute in den Wald fahren, messen sie jeweils den Feuchtigkeitsgehalt im Boden. Ist der Boden zu nass, vertagen sie ihre geplante Arbeit, da sie wollen keine bleibenden Schäden verursachen wollen. So kann es geschehen, dass gefällte Bäume manchmal wochenlang unangetastet im Wald liegen bleiben.
Halt Nr. 4 – «Vrsteckis» und «Märlistund» im Wald
Kinder geniessen die Abwechslung, ab und zu ihr «Kindergarten-Schämeli» gegen ein weiches Waldsofa tauschen zu können. In und um die Stadt Bern gibt es zahlreiche Kindergärten, Kitas und Schulklassen die temporär auch Zeit im Wald verbringen. Zwischen Zecken und morschen Bäumen ist der Spielplausch jedoch nicht immer ganz ungefährlich. Um sich gegen die kleinen Blutsauger zu schützen, sind die Kinder auf die Umsicht ihrer Eltern und Betreuungspersonen angewiesen. Um die Gefahren von oben aus den Baumkronen kümmert sich der Forstbetrieb. Häufig frequentierte Waldplätze werden deshalb durch Sicherheitsexperten regelmässig auf mögliche Gefahren hin überprüft. Dabei werden abbruchgefährdete, gefährliche Äste und ähnliches durch den Forstbetrieb beseitigt. Die Unterhaltskosten, welche den pädagogischen Institutionen dadurch entstehen, werden auf Anfrage von der Burgergemeinde Bern übernommen.
Halt Nr. 5 – Wenn ein Pilz zum Killer wird
Unsere letzte Station führt uns auf einen aussergewöhnlich hellen Waldplatz. Gewaltige Lücken klaffen hier im Blätterdach – hier standen vorher monumentale Eschen. Ein Blick auf die Stämme am Strassenrand zeigen, dass diese Bäume auch ohne forstlichen Eingriff nicht mehr lange im Wald gestanden wären. Vom Boden her hat die Fäulnis eingesetzt, die Stämme sind innen teilweise bereits hohl. Grund dafür ist ein asiatischer Pilz. Er wurde durch den globalisierten Warenverkehr eingeschleppt und ist verantwortlich für das Eschentriebsterben in Europa. Der Pilz verbreitet sich mit dem Wind, weshalb praktisch der gesamte Eschenbestand betroffen ist. Infizierte Bäume sterben ab und werden wegen ihrer morschen Äste oder gar im Gesamten zur Gefahr für Waldbesucherinnen und -besucher. In Asien gibt es Arten, welche gegen diesen Pilz resistent sind. Es besteht die Hoffnung, dass sich auch in Europa Resistenzen bilden werden. Falls nicht, werden die Eschen - wie zuvor auch schon die Ulmen - aus unseren Wäldern verschwinden. Eine weitere eingeschleppte Föhrenkrankheit zeichnet bereits das nächste Drama ab. Es kommen schwierige Zeiten auf unsere Wälder zu, umso wichtiger ist eine fachkundige und vorausschauende Betreuung der Waldflächen.
Corina Elena Marti arbeitet in der Redaktion der blickpunktNord Gmbh, dem Anzeiger für das Nordquartier in Bern. Sie hat den Anstoss zu obig geschilderte Waldspaziergang gegeben. Wir freuen uns, ihr einige Fragen stellen zu dürfen.
Medaillon: Frau Marti, als regelmässige Waldbesucherin konnten Sie über die letzten Jahre Veränderungen im Schosshaldenwald beobachten. Wir stehen heute mit dem Forstmeister der Burgergemeinde Bern im Wald und diskutieren über Waldbewirtschaftung. Wie ist es dazu gekommen?
Corina Elena Marti: Ich hatte Herrn Flückiger im März 2015 im Anzeiger fürs Nordquartier zum Thema Baumfällarbeiten in den Wäldern rund um Bern interviewt. Über ein Jahr später wurden im Schosshaldenwald immer noch sehr viele Bäume gefällt. So stellte ich Stefan Flückiger erneut ein paar Fragen. Dies auch deshalb, weil viele Waldbesucherinnen und -besucher unsicher waren und sich fragten, was mit dem Schosshaldenwald passiere und weshalb dieser derart lange «bewirtschaftet» werde. Herr Flückiger machte uns den Vorschlag, eine öffentliche Waldbegehung durchzuführen.
Was bedeutet Ihnen persönlich der Wald? Was ist Ihnen im Wald wichtig und was stört Sie?
Für mich ist der Wald ganz klar ein Regenerationsort. Ich tanke Kraft und betrachte die Natur, lausche den Geräuschen, die der Wald hergibt. Wichtig ist mir im Wald, dass er vielseitig ist, dass es Orte mit einer Dichte gibt, dass er nicht «herausgeputzt» ist und an gewissen Stellen einfach wachsen darf. Dass er seine Mystik behält. Mich stört, dass viele Menschen den zwar Wald nutzen, ihn aber nicht mehr «sehen». Ich finde es schön, dass Kindern der Wald wieder näher gebracht wird, mich stören aber die vielen Abfälle
Wir haben heute viel über Vorrangfunktionen, Nachfrage nach Holzprodukten, Holzimport und Sicherheit im Wald gehört. Wie sehen Sie eine ideale Waldbewirtschaftung in Schweizer Wäldern?
Ideal wäre für mich, wie oben erwähnt, dass Teile des Waldes belassen werden, dass man erleben kann, was passiert, wenn der Wald «einfach wächst und lebt» (und damit verbunden auch das Vermodern lassen und das Erleben, was Neues aus dem Vermoderten entsteht) – ähnlich wie im Grossholz in Gümligen.
Das Aufeinandertreffen von Forstarbeitern und Waldbesuchern bietet häufig Konfliktpotential. Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für ein konstruktives «Nebeneinander»?
Ganz wichtig ist für mich die Information. Ich wünsche mir, dass ich mich als Waldbesucherin im Wald selber informieren kann und erfahre, weshalb welche Bäume gefällt werden, was die Markierungen bedeuten et cetera. Diese Infos sollten nicht nur online abrufbar sein. Es wäre gut, wenn darüber vielleicht auch in lokalen Medien orientiert würde.
Was nehmen Sie persönlich aus dem heutigen Waldspaziergang mit?
Sehr vieles. Ich bin froh, dass ich nun weiss, dass nicht jeder markierte Baum gefällt wird. Ich bin froh erfahren zu haben, warum man mit grossen Maschinen arbeitet. Ich werde die Bäume nun anders betrachten, da ich weiss, dass ich auch die Krone eines Baums anschauen muss und nicht nur dessen Stamm. Es freut mich zu hören, dass die Waldbewirtschafter ebenfalls unglücklich sind, wenn sie gewisse Bäume fällen müssen und es auch sie schmerzt, wenn sie kranke Bäume fällen müssen.
Hat Sie etwas besonders erstaunt oder überrascht?
Ich war bisher der Meinung, dass ein Wald, aus dem «geerntet» wird, wieder aufgeforstet werden sollte, dass wieder neue Bäume gepflanzt werden sollten. Nun habe ich jedoch erfahren, dass die Bäume resistenter sind und mehr Überlebenschancen haben, wenn sie selber keimen. Ich fand den Gedanken beruhigend, dass man den Schosshaldenwald an verschiedenen Stellen wachsen lässt und ihm Hilfe bietet. Und sehr überrascht hat mich die Aussage von Herrn Flückiger, dass Efeu nur an kranken Bäumen emporwächst und dass es keine Bäume absterben lässt.
Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz im Wald?
Im Schosshaldenwald war es früher der Ort im hinteren Teil des Schosshaldenwaldes, wo die Gruppe mit den hohen Tannen steht. Es war dort sehr dicht und auch ein bisschen dunkel. Im Grossholz ist es der alte Teil des Waldes, der seit über 20 Jahren nicht mehr bewirtschaftet wurde und fast ein bisschen urig wirkt.