Was es für ein gutes, langes Leben braucht
Otfried Höffe ist auch in der Ausstellung «forever young» im Berner Generationenhaus zu hören.
TEXT: ANDY HOCHSTRASSER; BILD: ZVG
Medaillon: Herr Höffe – was macht die Kunst des Alterns aus?
OTFRIED HÖFFE: Dass man Dinge, die man gerne hat, weiterbetreibt. Ich fasse sie mit vier «L» zusammen: Laufen, lernen, lieben, lachen. Man sollte sich also weiterhin körperlich betätigen und geistig frisch halten, zum Beispiel noch eine Fremdsprache oder ein Musikinstrument erlernen. «Lieben» bedeutet, soziale Kontakte zu pflegen. Und «Lachen» steht für die Gefühlswelt, von der abhängt, ob das Alter Spass macht oder wir verdrossen durch die Welt spazieren.
Der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft steigt. Welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Es wächst zu wenig Jugend nach. Ich finde das bedauernswert, nicht nur im Zusammenhang mit der Finanzierung von AHV und Pensionskassen und dem Mangel an Pflegefachleuten, sondern vor allem, weil von der Jugend frische Ideen kommen. Eine Herausforderung ist auch, dass die Unterschiede im Alter viel grösser sind als in der Jugend. Es gibt 70-Jährige, die sich ohne Rollator kaum bewegen, andererseits 100-Jährige, die noch frisch und munter sind. Es gibt also keine für alle gleichermassen angemessene Lösung: Wir müssen flexibler werden.
Was heisst das für die Arbeitswelt?
Ich finde es nicht glücklich, dass 65 Jahre oft das Ende bedeuten. Wer arbeiten möchte, soll das altersunabhängig tun können. Man sollte dafür tun, was in der Schweiz weit verbreitet ist: in Teilzeit arbeiten. Dabei soll man sein Pensum an die Lebenssituation anpassen können, auch kurzfristig. Da muss die Gesellschaft helfen.
Braucht es generell ein Umdenken?
Ja. Heute werden jeder Lebensphase gewisse Aufgaben zugeordnet: der Jugend das Lernen, den alten Menschen die Musse – und wer dazwischen ist, hat zu arbeiten. Diese Aufgaben müssen neu ins Gleichgewicht gebracht werden. Lernen, Arbeit und Freizeit sind in jedem Lebensabschnitt wichtig.
Wie verändert sich die Politik mit einem grösseren Anteil älterer Menschen?
Es sollte keine Rentnerpolitik geben. Glücklicherweise zeigt sich, dass die Vorlieben der Jugend und der älteren Menschen oft ähnlich sind, zum Beispiel beim Klimaschutz. So oder so muss die Jugend gehört werden. Wenn der Anteil der über 65-Jährigen steigt, sollte auch jener der Jugendlichen steigen. Warum geben Sie Ihnen nicht schon mit 16 das Wahlrecht?
Dass mehrere Generationen gemeinsam wohnen, ist eher selten geworden. Was muss getan werden, damit sie trotzdem im Austausch bleiben?
Man darf ältere Menschen nicht zu früh in abgetrennte Lebensräume abschieben, in «Reservate für Stadtindianer vom Stamme der Senioren». Dort fühlen sich die älteren Menschen wie in eine Senioren-Abschiebehaft genommen. Glücklicherweise haben Architekten und Stadtplaner schon damit begonnen, Gebäude, Quartiere und Verkehrsnetze generationengerecht zu entwerfen, damit möglichst alle Altersgruppen gemäss ihren Bedürfnissen miteinander leben können.
Weitere Informationen: www.begh.ch/ausstellung