Eine fast normale WG
Von links nach rechts: Barbara Stettler, Sakura und Cécile Berchtold
TEXT: PASCAL MATHIS; BILD: CÉLINE FISCHER
Barbara Stettler sitzt am grossen Küchentisch, ihre Augen funkeln. «Ich liebe es, wenns drunter und drüber geht!» Die Hauswirtschafterin ist Teil des vierköpfigen Teams, das im Berner Holligen-Quartier eine eher ungewöhnliche Wohngemeinschaft betreut: die Inklusions-WG.
In der WG mitten in einem Wohnquartier wohnen fünf junge Erwachsene. Noch haben alle Mühe, selbstständig ihren Alltag zu bestreiten. Betreut von drei Sozialarbeitenden und Barbara Stettler meistern sie ihre täglichen Herausforderungen – mal besser, mal weniger.
Die WG als Privileg
Sozialarbeiterin Cécile Berchtold beschreibt die Besonderheiten der WG so: «Hier wohnen nur Leute, die mit der IV in Verbindung stehen.» Durch die Unabhängigkeit, die eine IV-Rente bieten kann, bestehe weniger Druck, sofort einer geregelten Tagesstruktur nachgehen zu müssen. Das biete eine gewisse Freiheit, individueller an Themen zu arbeiten.
«Ein grosses Privileg!», betont Cécile Berchtold. «So kommt es im Idealfall zu weniger Abbrüchen beim begleiteten Wohnen.» Müssen Beeinträchtigte zu schnell wieder im Alltag funktionieren und einen Job finden, steigt das Risiko, dass es schief geht. Ein Teufelskreis.
Von der neuen Struktur profitiert auch Sakura, die seit einem Jahr hier wohnt. Am Anfang war sie noch skeptisch, «nun ist es hier perfekt für mich». Die gelernte Köchin leidet neben einer chronischen Erkrankung an psychischen Problemen. Morgens aufzustehen, fällt ihr zurzeit schwer. Auch ist sie noch auf der Suche nach einer Tätigkeit, die ihren Alltag ausfüllt. Dabei wird sie von den Fachpersonen von SORA unterstützt.
Ziele und eine grosse Vision
Ein Punkt, bei dem Barbara Stettler ansetzt: «Ich lehre Sakura den Alltag und bin eine ‘hartnäckige Trucke’.» Sie motiviere zum gemeinsamen Einkaufen, koche mit den Bewohnenden oder erinnere an die Ämtlis im Haushalt. Aufgabe der Sozialarbeitenden ist es, die Bewohnenden zu coachen, zu Terminen zu begleiten und mit Ärztinnen oder Psychologen zusammenzuarbeiten.
Auch wenn der Druck kleiner ist als anderswo, auch hier gibt es Ziele. Sakura möchte mit ihrem Freund zusammenziehen, «aber noch bin ich zu wenig stabil.» Sozialarbeiterin Cécile Berchtold verfolgt derweil eine Vision: «Hier sollen auch mal Menschen ohne Beeinträchtigung wohnen.» Vollständig umgesetzte Inklusion also in einer ganz «normalen» WG.