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In welchem Verhältnis stehen eigentlich die Burgergemeinde und die Zunftgesellschaften zueinander?

13.04.2015

Burgerinnen oder Burger sind meist auch Angehörige einer der
13 Gesellschaften und Zünfte. Dass neben der Burgergemeinde
auch die Zunftgesellschaften Gemeindestatus haben, stiftet
oft Verwirrung bezüglich des Verhältnisses der Parteien zueinander. Aber auch die Existenz von Burgerinnen und Burgern
ohne Zunftzugehörigkeit scheint einer Erklärung zu bedürfen.
Diese verschachtelte Gesamtsituation ist historisch gewachsen.
Alte Einrichtungen haben dabei nicht nur überdauert sondern
waren mithin Keimzellen der Moderne und haben sogar die auf
der Gemeinde beruhende demokratische Organisation der
Schweiz inspiriert.

TEXT: MARTIN GRASSL

Im Mittelalter siedelten Handwerker und Kaufleute oftmals im Schutz mittelalterlicher Burgen und begründeten in der Folge städtisches Leben. In der mittelalterlichen Stadt bildete sich im Gegensatz zum Umland ein eigener Rechtsraum heraus. Den städtischen Bürger zeichnete insbesondere die personenrechtliche Freiheit im Unterschied zur mehr oder weniger ausgeprägten Abhängigkeit der Land- und Dorfbevölkerung aus. Wichtige Merkmale des städtischen Bürgerrechts oder eben Burgerrechts waren die Gleichheit der Bürger vor dem Recht und die Freiheit, ein Handwerk auszuüben und Handel zu treiben. Ausgenommen vom Burgerrecht waren die sogenannten Hintersassen, umherziehende Berufsleute, welche auf Zeit in der Stadt wohnten und arbeiteten, sowie Dienstpersonal.

Bürger waren Angehörige von Genossenschaften
Die freien Bürger – oder eben «Burger» – der mittelalterlichen Stadt Bern genossen nicht nur gleiche Rechte, sondern waren auch genossenschaftlich organisiert. Die Zugehörigkeit zu einer genossenschaftlichen Zunftgesellschaft war seit 1534 unter anderem sogar Bedingung für den Erhalt des Stadtbürgerrechts. Das Stadtbürgerrecht sowie die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft blieben seither aneinander gekoppelt bis zur Aufhebung des Gesellschaftszwangs nach der Reorganisation der Burgergemeinde Bern im Jahr 1888. Stadtbürgerrecht sowie genossenschaftliches Organisationsprinzip sind Einrichtungen, welche den historischen Hintergrund von Burgergemeinde und ihren Zunftgesellschaften bilden.

In den Zunftgesellschaften waren die freien Bürger aufgrund eines Eides organisiert. «Die Städte als genossenschaftliche Verbände freier Männer oder Bürger» (Manfred Riedel) liegen auch am Ursprung der Burgergemeinde und der Gesellschaften und Zünfte der Stadt Bern. Begriffe wie Stubengenossen oder – das Nutzniessen – eines Nutzens gehen etymologisch auf die Genossenschaft zurück. Das Genossenschaftsprinzip hat insbesondere der auf der Gemeinde beruhenden demokratischen Organisation der modernen Schweiz Pate gestanden.

Einführung des Heimatrechts und Burgergemeinden auf dem Land
Im 17. Jahrhundert kam es in Bern zu Aufnahmebeschränkungen ins Stadtbürgerrecht. Zwischen 1650-1784 verminderten sich so die burgerlichen Familien um mehr als die Hälfte von 540 auf 243 Familien. Der Staat Bern sah sich zudem, wie andere Schweizer Stände auch, mit einem drastischen Armenproblem konfrontiert, was zur Installierung des «Heimatrechts» in der ganzen Eidgenossenschaft führte. Dies, um des Armenproblems Herr zu werden. Die bernische Obrigkeit überbürdete mit den Bettelordnungen der Jahre 1676 und 1690 die Fürsorge für die Armen deren Herkunftsorten, was zur Einrichtung von Burgergemeinden auch auf dem Land führte. Der «Heimatschein» ordnete jeder Familie eine Heimatgemeinde zu. Hierin liegt auch der Ursprung der schweizerischen Besonderheit des noch heute existierenden Heimatorts. In der Stadt Bern selbst übertrug man den Gesellschaften die Verantwortung für die Armenpflege ihrer Mitglieder.

Die Einwohnergemeinde setzt sich durch
Ab der Phase der Helvetik (1798–1803) setzte sich die Munizipalität, heute die Einwohnergemeinde, durch. Die moderne Gemeinde definierte sich durch ihr Territorium und den Ausbau der politischen Rechte im Geiste von «Liberté, Égalité, Fraternité». Die alten Bürgergemeinden wurden jedoch in der Schweiz nicht abgeschafft, sondern blieben mit stark beschränktem politischem Wirkungsradius bestehen. Dieser Gemeindedualismus ist europaweit einmalig.

Aus dem alten Staat Bern sind zwischen 1798 und 1832 der Kanton, die Einwohnergemeinde sowie die Burgergemeinde Bern hervorgegangen. Das Burgerrecht kann im Besonderen nur von der Burgergemeinde erteilen werden. Diese schaffte 1888 den Burgernutzen ab, noch vor den einzelnen Zünften. Gleichen Jahrs fiel der Gesellschaftszwang, um weiter neue Mitglieder aufnehmen zu können. Dies, weil bei den Zunftgesellschaften teils hohe Einkaufsummen gefordert wurden. Um auch den Burgerinnen und Burger ohne Zunft gesellschaftlichen Anschluss innerhalb der Burgergemeinde zu verschaffen, wurde 1910 die Burgergesellschaft Bern gegründet, welche keine Körperschaft des öffentlichen Rechts darstellt, sondern Vereinsstatus hat.

Heimatrecht und Sozialhilfe – oder Stadtbürgerrecht und Genossenschaft?

Ausführlicher Text zum Thema des Osteuropa-Historikers und Kleinen Burgerrats Christophe von Werdt

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