Barry — Ein Fallbeispiel
laufend neue Ausstellungen und bespielt Räume von der Grösse einer Vitrine bis hin zum respektablen Saal. Von der ersten Idee bis zur Vernissage fliesst viel Herzblut, Knowhow und Knochenarbeit in die Projekte, so auch bei der neuen Dauerausstellung «BARRY – der legendäre Bernhardinerhund».
TEXT: DORA STRAHM; BILDER: LISA SCHÄUBLIN
Nach der Ausstellung ist jeweils vor der Ausstellung. Lange bevor das Gläserklirren einer Vernissage verklungen ist, wälzen die Ausstellungsleute bereits das nächste Thema. So auch bei Barry: Es stand schon lange fest, dass der berühmteste aller Bernhardinerhunde zu Ehren seines 200. Todestages dieses Jahr eine eigene Dauerausstellung erhalten sollte.
Man könnte nun vielleicht meinen, dass sich daraufhin ein paar kreative Köpfe spontan an einen Tisch gesetzt hätten, um «locker vom Hocker» eine Barry-Ausstellung aus dem Ärmel zu zaubern. Doch kreative Prozesse machen nur einen Teil der Ausstellungsentwicklung aus. Unterfangen dieser Art sind typische Projekte mit einer jeweils auf den Tag genau festgelegten Startlinie und einer knallharten Deadline: nämlich der Vernissage.
Nebst guten Ideen ist von Anfang an eine minutiöse Projektorganisation notwendig, in der festlegt wird, wer im Team die Felder Projektmanagement, Gestaltung, Ausstellungskuratorium, wissenschaftlicher Beirat, schulische Vermittlung, technische Umsetzungen, Schreinerarbeiten, Texte und Multimediainhalte abdeckt. Wie beim Abspann eines Films scheint die Liste der Beteiligten und deren Aufgaben schier endlos zu sein.
Zu Beginn ist die Herausforderung, der Fülle an Möglichkeiten aber auch Beschränkungen einer jeden Ausstellung Herr zu werden, jeweils besonders gross. Unendlich viele interessante Themenaspekte und zahlreiche Ansprüche wollen erfüllt werden, wobei die einzelnen Ideen oft in unterschiedliche Richtungen zielen. Sollte man beispielsweise anhand Barrys die Entwicklung vom Wolf zum Hund erzählen, die Bernhardinerzucht aufgreifen oder die Geschichte des Hospizes darstellen? Es war hier die Aufgabe der Ausstellungskuratorin, die Ideenflut einzudämmen und einzelne Geschichten herauszuarbeiten, die packen und interessieren könnten. Das herauskristallisierte Inhaltskonzept drehte sich am Ende eng um Barry selber: seine wilde Bergwelt, Bedrohung und Rettung, Legenden und sein wahres Leben sollten im Mittelpunkt stehen. Das Projektteam erhielt anschliessend grünes Licht für diesen Ansatz zwischen Entzauberung und Verklärung.
Das Konzept war kein dürrer Papiertiger mehr, weil es bereits in groben Zügen visuelle Umsetzungsimpulse enthielt. Ausstellungsinhalte dürfen nicht einfach nur spannend sein, sondern müssen im Raum funktionieren und sollen sichtbar, hörbar und begehbar sein. Ausstellungen sind eben keine Bücher, sondern stellen die Urform des zurzeit angesagten 3D-Erlebnisses dar. Sie halten besondere Raumstimmungen, Objekte, Inszenierungen, überraschende Interaktionen, Multimediainhalte und Informationen bereit, die packen und berühren sollen. Diesen Ansprüchen zu genügen, gelingt nicht immer. In vielen Ausstellungen lässt sich beobachten, dass die Ausstellungskuratoren eigentlich ein trockenes Sachbuch im Hinterkopf, die Gestalter jedoch ihr vom Inhalt unabhängiges, visuelles Brimborium vor Augen hatten.
«Die Liste in die Kiste bringen» nennen wir die Herausforderung, Inhaltsideen mit der visuellen Form zu vereinen. Eine Aufgabe, welche Jürg Nigg und ich oft schon in enger Zusammenarbeit angepackt haben. Jürg Nigg ist Leiter des Bereichs Ausstellungen und war auch bei «Barry» zuständig für die Gestaltung, einer Arbeit, welche natürlich nicht im stillen Kämmerlein geschah, sondern das ganze Projektteam mit regelmässigen Diskussionen und gegenseitigem Austausch einschloss.
Das Ausstellungsprojekt begann immer mehr an Fahrt aufzunehmen. Die Ideen materialisierten sich buchstäblich am Modell, welches den Ausstellungsraum und seine Inhalte im Massstab 1:20 zeigte. Der Modellbau ist übrigens eine unübertroffene Spezialität von Jürg Nigg. Seine «Puppenstuben», wie er sie selber schmunzelnd nennt, stellen kleine Meisterwerke dar und sind für die Darstellung zukünftiger Ausstellungen äusserst hilfreich: Sie zeigen unerbittlich die herrschenden Platzverhältnisse auf, machen das «Drehbuch», die Anordnung der Inhalte im Raum sichtbar und vermitteln somit ein authentisches Bild des künftigen Ganzen. Und sie bringen Bewegung in die Sache: Man ist gezwungen um das Modell herum zu gehen, hinein zu gucken und so die Perspektiven zu wechseln.
Das Modell ist das eine, seine Realisierung aber etwas ganz anderes. Das gesamte Projektteam und externe Fachleute machten sich bald an die Umsetzung der ambitionierten Vorgaben. So malten etwa die Künstler Angela Zwahlen und Simon Müller wunderbare «Bühnenbilder» zu Barrys legendären Taten, Gleitschirmweltmeister Chrigel Maurer flog für spektakuläre Flugaufnahmen über die Alpen, und die Berner Theatercrew «Club 111» schuf ein Barry-Hörspiel der besonderen Art.
Wieder andere zeichneten Pläne, erarbeiteten Unterlagen für Schulen, brüteten über Interaktionen und Multimediainhalten. Oder sie schrieben Texte, lektorierten solche, suchten Objekte, Bilder und Filme zusammen, verwandelten historische Bilder in Prints, hielten wissenschaftliche Fakten, die Medien, Zeitpläne, das Projektteam und die Finanzen in Schach, bauten Mobiliar und erledigten unzählige andere Dinge, deren Listung ein ganzes Buch ergeben würde – oder doch lieber eine neue aufregende Ausstellung: Das «making of» BARRY 2014.
Dora Strahm ist Ausstellungskuratorin im Naturhistorischen Museum Bern. Die Zoologin hat sich nach dem Studium dem Ausstellungsmachen verschrieben. Ihr Herzblut gehört dem Publikum: Die «Geschichten im Raum» sollen berühren, packen, erfreuen.