Gibt es einen Generationengraben in der Schweiz?
TEXT: MICHAEL FÄSSLER; GRAFIKEN: ARIANE FORSTER
Generationenthemen sind gesellschaftliche Querschnittsthemen, daher werden sie oft nicht ganzheitlich betrachtet. «Generationenpolitik ist Finanzpolitik, Sozialpolitik, Klimapolitik und Wohnpolitik», wie der Schweizer Soziologe und Generationenforscher François Höpflinger, einer der wenigen Wissenschaftler, der sich in der Schweiz auf Generationenfragen spezialisiert hat, sagt. Entsprechend unzureichend werden die Beziehungen zwischen den Generationen in der Schweiz statistisch erhoben und erforscht.
Was bewegt die Generationen in der Schweiz wirklich? Wie wird der Zusammenhalt zwischen den Generationen wahrgenommen? Um die gesellschaftliche Debatte über die Generationenbeziehungen zu versachlichen, fühlt das Berner Generationenhaus seit 2020 der Schweizer Bevölkerung jährlich mit einer repräsentativen Befragung den Puls.
Die gute Nachricht vorweg: Ein tiefgreifender Graben zwischen den Generationen kann auch in der im Februar 2023 veröffentlichten dritten Ausgabe des Generationen- Barometers nicht festgestellt werden. Dafür wurden 2787 Personen aus der ganzen deutsch- und französischsprachigen Schweiz befragt. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich, zwischen politisch links und rechts, zwischen Stadt und Land wird von der Schweizer Bevölkerung als bedeutend grössere Herausforderung für den Zusammenhalt der Gesellschaft gesehen. Nur ein Viertel aller Befragten hat den Eindruck, dass die Schweiz zwischen Jung und Alt auseinanderdriftet.
Junge Erwachsene nehmen Generationengraben wahr
Von den 18- bis 25-Jährigen hingegen nehmen mehr als die Hälfte einen Generationengraben wahr. Diese Entwicklung ist neu, bei den beiden vorherigen Befragungen hatte sich die Sorge um die Generationenbalance bei der Generation Z noch nicht gezeigt. Zwischen Jung und Alt gibt es ausserdem grosse Unterschiede bei der Lebenszufriedenheit. Fast die Hälfte der Befragten über 55 ist mit dem eigenen Leben sehr zufrieden. Von den jungen Befragten unter 36 ist hingegen nur jede fünfte Person sehr zufrieden. 2020 war es noch ein knappes Drittel, die Lebenszufriedenheit der jüngeren Menschen sinkt also zunehmend. Junge Befragte unter 36 fühlen sich auch am stärksten aufgrund ihres Alters benachteiligt.
Wer in den späten 1980-ern oder danach geboren wurde, geht ausserdem davon aus, dass die eigene Lebensqualität schlechter ist als jene der Eltern, und schätzt die Lebensqualität der nachfolgenden Generationen noch tiefer ein als die eigene, so die Erkenntnisse aus der Studie. Das alte Fortschrittsversprechen, dass jede Generation bessere Lebensbedingungen vorfindet als die vorherige, scheint nicht mehr zu gelten. Den älteren Generationen scheinen die tiefe Lebenszufriedenzeit und die fehlenden Zukunftsperspektiven der jüngeren Generationen aber nicht wirklich bewusst zu sein, sie gehen nach wie vor davon aus, dass nachfolgende Generationen es besser haben werden. Ein Lichtblick der Studie ist, dass die jüngsten Generationen am meisten Spielraum sehen, die Zukunft selbst positiv zu beeinflussen.
Was gegen die zunehmende Polarisierung zwischen der Generation Z und dem Rest der Gesellschaft hilft, ist ein anhaltender Dialog zwischen den verschiedenen Altersgruppen: in der Politik, in den Medien, an öffentlichen Orten wie dem Berner Generationenhaus und in den eigenen vier Wänden.