Dr. med. Nicola Berlemann
Heimärztin am Burgerspittel
«Die Menschen treten heute immer später, hilfsbedürftiger und infolgedessen auch in medizinisch komplexerem Zustand in den Burgerspittel ein, nämlich dann, wenn es zu Hause gar nicht mehr geht. Alterswohnungen sind dementsprechend weniger begehrt als Wohnungen mit 24-Stunden-Pflege. Häufig erfolgen die Übertritte direkt aus dem Spital oder nach einem Rehabilitationsaufenthalt. Der Beginn ist oftmals ein ‹Ferienbett›.
Während Angehörige teils mit einem schlechten Gewissen kämpfen, die Mutter, den Vater oder den Ehemann ‹abgeschoben zu haben›, fühlen sich die Eintretenden im Burgerspittel schnell wohl. Gerade zu Beginn muss man sich nicht nur um sie kümmern, sondern auch ihre Angehörigen intensiv miteinbeziehen, damit Barrieren und Bedenken abgebaut werden. Die Anfangszeit stellt für die Pflege und mich eine Herausforderung dar. In der Regel beruhigt sich die Situation sehr schnell wieder und es entsteht ein gegenseitiges Vertrauen.
Gerade bei Erkrankungen im Bereich einer Demenz lautet unser Motto, möglichst wenig Medikamente einzusetzen und dafür den Bewohnenden mehr Zuwendung, Unterstützung hinsichtlich der verbliebenen Ressourcen sowie liebevolle, engagierte Betreuung zukommen zu lassen. Dies erfordert vom Pflegepersonal Flexibilität und individuelle Anpassungen in der Betreuung betreffend Tagesrhythmus, Essen, Umgang und Aktivitäten. Dank unseres hohen Personalschlüssels ist dies möglich. Dies zeichnet den Burgerspittel aus.
Ein guter Teamgeist unter dem Pflegepersonal ist auch für die Bewohnenden sehr wichtig. Erstaunlicherweise spüren gerade Menschen mit kognitiven Einbussen Missstimmungen sehr schnell. Es ist wichtig, dass die Pflege genügend Zeit findet, auch auf scheinbar kleine und persönliche Bedürfnisse einzugehen, beispielsweise, dass eine Bluse richtig zugeknöpft ist. Als Dank bekommen die Pflegenden dafür ein Lächeln zurück, was ihnen wiederum guttut.
Ich bewege mich als Ärztin immer auf Augenhöhe und mit Respekt gegenüber den Bewohnenden, ihren Angehörigen und besonders gegenüber dem Pflegepersonal. Man kann nur auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Ich schätze die Pflege im Burgerspittel ausserordentlich für ihre Empathie, ihr Engagement und ihre Teamfähigkeit. Wir müssen alles dafür tun, dass es auch so bleibt.
Bei der Erstvisite darf bei mir eine Frage nicht fehlen, nämlich ‹Wie haben Sie gewohnt und was haben Sie gemacht, was haben Sie gearbeitet und haben Sie Kinder?› Dadurch erfährt man, wie die Beziehung in der Familie ist, von welcher Flughöhe jemand ungefähr kommt und wie sie auch eingebettet gewesen sind, was sehr wichtig ist.
Was ich nicht mag, sind starre administrative Raster nach Schema F: man dokumentiert sich heutzutage tot und presst die zu behandelnden Menschen in ein Raster, aber sie lassen sich nicht einfach so in eines pressen. Deshalb gehen wir hier im Burgerspittel mit gesundem Menschenverstand heran, denn wenn man alle pauschalisiert betrachtet, gehen wichtige Dinge verloren.»