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600 Jahre Berner Münster

19.04.2021

«…von ferne gesehen, aus einem Umkreis von zehn Meilen, von der Eisenbahn aus, […] war nur eine Kirche, die die Stadt zusammenfasste, die sie vertrat, die zu der Ferne von ihr und für sie sprach…»

Bild Legende:

TEXT: CHRISTOPHE VON WERDT; BILDER: ZVG

Wie in Marcel Prousts Zitat in «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» verhält es sich auch mit dem Münster, wenn man sich Bern nähert: Sein Kirchturm prägt die Silhouette, es steht wie kein anderes Gebäude ikonisch für die Stadt. Das Münster ist die grösste Kirche der Schweiz – und ein bedeutsamer Ort der Besinnung und der Kultur: Gegen 1 Million Menschen besuchen es jährlich. Und nun beging dieses Münster – notgedrungen still – den 600. Jahrestag seiner Grundsteinlegung (11. März 1421). Der Start zum Bau des Münsters kündet von einer Gesellschaft im Aufbruch. Im Jahr 1405 hatte ein grosser Brand gewütet, aber innerhalb von zehn Jahren baute man die Stadt weitgehend wieder auf. Der römisch-deutsche König besuchte Bern 1414 und bestätigte dessen politische Stellung, ein Jahr später griff Bern territorial aus und eroberte den habsburgischen Aargau – ein wichtiger Schritt in der machtpolitischen Entwicklung zum bedeutendsten Stadtstaat nördlich der Alpen. Nur wenig später (1418) weilte mit Papst Martin V. erneut höchster Besuch in der freien Reichsstadt. Dieser unterstützte das Ansinnen der Berner finanzkräftig, ein neues, stolzes Gotteshaus an der Stelle der bescheidenen Leutkirche zu errichten. Vor diesem Hintergrund schickte sich Bern an – 1419 nochmals zurückgeworfen durch einen Pestzug – dem eben neu errichteten politischen Machtzentrum (Rathaus) den selbstbewussten, die bisherige Leutkirche um ein Vielfaches übertreffenden Münsterbau zur Seite zu stellen.

Die Stadt Bern nahm mit dem Münster einen Bau in Angriff, der sich bis zur Vollendung des Mittelschiffs über mehr als 150 Jahre erstreckte – respektive bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als auf Bestreben des neu gegründeten Münsterbauvereins 1893 der Kirchturm im neugotischen Stil aufgestockt wurde. Die Generationen, die mit diesem Projekt antraten, wussten also, dass sie die Vollendung des Münsters selbst nie erleben würden. An diesem an der «Ewigkeit» orientierten Horizont einer gemeinschaftlich handelnden Stadtgesellschaft, die damals nur um die 5000 Einwohner zählte, können wir uns ein Beispiel nehmen.

Die 600-jährige Jubilarin, die sich im Eigentum der Gesamtkirchgemeinde befindet, bedarf der sorgfältigen, ständigen Pflege. Dafür ist seit 1993 die Berner Münster-Stiftung zuständig, Nachfolgerin des Münsterbauvereins – vom umsichtigen Rudolf v. Fischer ins Leben gerufen (1991 – 1997 auch Burgerratspräsident). Die Münsterbaumeisterin Annette Loeffel leitet im Auftrag der Stiftung die baulichen Massnahmen sowie die Münsterbauhütte, fachlich unterstützt vom Baukollegium, das sich aus Denkmalpflege-Fachleuten zusammensetzt. In den letzten 20 Jahren hat man dabei einen wichtigen Praxiswandel vollzogen: So wird heute versucht, originale Bausubstanz zu erhalten und zu restaurieren, statt sie mit neuen Werkstücken aus Sandstein zu ersetzen.

Aktuell wird nach dem vorreformatorischen, von Heiligen bevölkerten Chorgewölbe von 1517 das Mittelschiffgewölbe restauriert (bis 2024). Zu diesem Zweck wurde – ganz bewusst im Jubiläumsjahr! – eine elegante Holzdecke eingezogen, die als Arbeitsplattform dient. Sie ermöglicht einen Raumeindruck, wie er bis zur Fertigstellung des Mittelschiffgewölbes 1573 über Jahrzehnte jene angemutet haben dürfte, die den Gottesdienst im Münster besuchten. Dass im nachreformatorischen Mittelschiffgewölbe nicht mehr Heilige, sondern die Wappen von damaligen Ratsherren und Repräsentanten einer selbstbewussten Staatsmacht auf uns hinabschauen, widerspiegelt einen anderen Mentalitätswandel… Immerhin steht beim Sprengring in der Mitte des Gewölbes, das Berner Staatswappen rahmend, noch der Wunsch: «Gib o herr gott von himmel, das under disem gwelb himmel din wort glert, ghördt werdt, rein und klar».

Neuerscheinung

Bernd Nicolai/Jürg Schweizer (Hg.): Das Berner Münster. Das erste Jahrhundert: von der Grundsteinlegung bis zur Chorvollendung und Reformation (1421 – 1517/1528). Regensburg 2019

abgelegt unter: Kultur, Burgergemeinde

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