Marianne Bartlome – Herausfordernde Seelsorge in Zeiten von Corona
TEXT: MARTIN GRASSL / BILD: SIMON STÄHLI
Pfarrerin Marianne Bartlome erlebt die Coronazeit als besonders herausfordernd. Die Seelsorgerin steht keiner Kirchgemeinde vor, sondern ist von der Burgergemeinde angestellt und kümmert sich um die Betagten des Burgerspittels am Standort Bahnhofplatz, der sich im zweiten Stock des Burgerspitals befindet. Sie hält überdies jeden Monat einen öffentlichen Gottesdienst in der Spittelkapelle des Burgerspitals ab. Und sie hat auch mitgeholfen, das Trauercafé im Berner Generationenhaus ins Leben zu rufen. Marianne Bartlome ist ebenfalls seelsorgerische Anlaufstelle für viele Burgerinnen und Burger aus allen Gesellschaften und Zünften. Corona hat nun auch Marianne Bartlomes seelsorgerische Tätigkeit auf den Kopf gestellt.
Frau Bartlome, wie war Ihre Tätigkeit vor Corona geprägt?
Meine Kernaufgabe ist die seelsorgerische Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner im Burgerspittel am Bahnhofplatz, wo ich bislang meine regelmässigen Einzelbesuche gemacht habe. Es ist sehr wichtig für die Menschen, in der seelsorgerischen Person ein greifbares Gegenüber zu haben. Einerseits bin ich Klagemauer, wenn gerade der Schuh drückt, andererseits ist gerade auch das Nonverbale eben sehr wichtig. Ich arbeite eng mit der Pflege zusammen. Fühlt sich eine Bewohnerin oder ein Bewohner plötzlich unwohl, etwa durch eine Depression, ist es mir möglich, binnen einer Stunde vorbeizukommen. Alle hier kennen einander, unter den Bewohnerinnen und Bewohnern des Burgerspittels, den Angehörigen und den Pflegenden herrscht ein grosses Vertrauen. Das ist für meine Tätigkeit sehr wichtig und hilfreich.
Die Altersinstitutionen sind wie andere Einrichtungen auch wegen Corona abgeschottet worden. Hat das Ihre Tätigkeit verändert?
Und wie! Meine gewohnten Besuche sind aufgrund der Schutzmassnahmen nicht mehr möglich. Praktisch meine ganze seelsorgerische Arbeit findet nun per Telefon statt. Das ist eine grosse Veränderung und betrifft natürlich alle Pfarrerinnen und Pfarrer in dieser Zeit.
Was ist speziell anders?
Wie schon gesagt, ist das nonverbale Moment in meiner Tätigkeit sehr wichtig, wenn ich mein Gegenüber sehen, «gspüre», kann. Da bekomme ich sehr viel mit, und kann so intuitiv gut auf jemanden eingehen. Das fällt nun merklich weg. Ich höre die Hilfesuchenden nur noch am Telefon und muss mir oft den Kopf zerbrechen, wo genau der Schuh drückt. Die Gespräche laufen mir oft lange noch nach und rauben mir manchmal sogar den Schlaf. Es fühlt sich an, als würde man einem verunfallten Kind am Telefon auf eine Zeit danach vertrösten, wenn man es wieder in die Arme schliessen könne, obwohl man weiss, dass es dies gerade jetzt fest nötig hätte. Dennoch bin ich froh, telefonisch überhaupt noch zu den Menschen Kontakt halten zu können. Zudem verschicke ich allen Bewohnerinnen und Bewohnern des Burgerspittels jeweils Anfang Woche meinen Brief, «Einklang in die Woche», dadurch werden sie auch daran erinnert, dass ich weiterhin telefonisch für sie erreichbar bin.
Eine Situation, die Diensttuenden der Telefonseelsorge bestens vertraut ist…
Das ist etwas anderes und die Ausnahme. Hier ist Anonymität aus verschiedenen Gründen gewünscht oder geboten. Die gewohnte Seelsorge wie im Burgerspittel spielt sich dagegen ganz im Gegenteil nicht in der Anonymität ab.
Stehen wegen Corona andere Themen im Vordergrund ihrer Tätigkeit?
Im Burgerspittel leben vor allem Menschen über 80 Jahre. Das Sterben ist hier kein Tabuthema. Viele befassen sich konkret damit, haben wichtige Dinge geregelt und etwa eine Patientenverfügung erstellt. Doch gerade die Fernsehbilder aus Norditalien haben viele Bewohnende aufgeschreckt. Die Konfrontation mit dieser Form eines einsamen Todes ausserhalb des Kreises der Liebsten, und dass sogar Beerdigungen und Gedenkfeiern im gewohnten Rahmen ausgesetzt sind, ist schwer zu akzeptieren. Die Verunsicherung ist deshalb gross, niemand will so einsam sterben. Die zusätzliche Abschottung auf Anordnung drückt dabei vielen verständlicherweise aufs Gemüt, die Isolation wird als sehr belastend empfunden. Die Pflegenden leisten dabei übrigens im Moment als einzige für die Bewohnenden physisch anwesenden Personen eine Herkulesarbeit. Ich möchte an dieser Stelle allen Pflegefachfrauen und -männern herzlich für ihren ausserordentlichen Dienst für die Spittelbewohnenden danken.
Was sind im Moment Lichtblicke?
Wie ich weiss, freuen sich die Bewohnenden des Burgerspittels sehr über ihren Innenhof, wo sie sich aufhalten dürfen. Er wirkt in dieser beunruhigenden Situation auf sie wie eine Oase, in der sie etwas Kraft tanken können. Und per Smartphone auch visuell mit der Aussenwelt und den Angehörigen im Kontakt bleiben können, hilft ihnen auch sehr. Eine Möglichkeit, von der man früher nicht hätte träumen können.